Eberhard Krauß zum Gedenken

Das verschmitzte Lächeln, der freundlich zugewandte, verständnisvolle Blick direkt auf sein Gegenüber, die saloppe Kleidung, die deutende Hand auf das Wappen einer Mühlviertler Gemeinde, aus der im 17. Jahrhundert zahlreiche Glaubensflüchtlinge den Weg nach Franken auf sich nehmen mussten – genau so werden wir Eberhard Krauß in Erinnerung behalten. Ein Bild wie dieses – entstanden auf einer Exkursion nach Oberösterreich, einem wichtigen Arbeitsgebiet des Exulantenforschers – sagt mehr aus als ‚offizielle‘ Porträts aus professioneller Fotografenhand. Sie zeigen den Porträtierten ‚mitten im Leben‘ – so, wie er den Zurückbleibenden präsent war und ist.
Dietrich Eberhard Krauß wurde am 15. November 1936 als drittes von sechs Kindern des Oberamtsrichters Dr. jur. Fritz Krauß und seiner Frau Elisabeth geb. Hickl in Altdorf geboren. An das Abitur, das er 1927 am Neuen
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Gymnasium in Nürnberg ablegte, schloss sich von 1957 bis 1962 ein Studium der Theologie und Philosophie in Erlangen und Tübingen an. Die weitgespannten Interessen des jungen Mannes zeigten sich bereits darin, dass er neben seinen Hauptfächern auch pädagogische und kunstgeschichtliche Lehrveranstaltungen belegte. Allerdings sah er seine Zukunft nicht unmittelbar im Schuldienst, sondern in der Seelsorge – ein Berufsbild, das ihm schon von seinem Großvater, dem in Ludwigstadt und später in Münchaurach wirkenden Dekan und Kirchenrat Hans Schörrig (1886–1970), vertraut war. Zugleich schloss er sich in Erlangen der Bubenruthia an, einer der größten und ältesten Burschenschaften Deutschlands, die damals eben ihr von den National-sozialisten beschlagnahmtes Haus zurückerhalten hatte. In dieser betont christlichen und liberalen Gemeinschaft fand er Freunde fürs Leben, die ihm später z.T. auch in die GFF folgten.
Jung verheiratet und eben Vater einer ersten Tochter geworden, wurde Krauß am 6. März 1964 in der Ziegelsteiner Melanchthonkirche ordiniert. Seine erste feste Stelle übernahm er Anfang 1967 als Pfarrer in Forth. Dort wurden 1969 und 1970 zwei weitere Kinder geboren. 1972 wurde er dann an die Pfarrei berufen, die ihm bis ans Ende des Berufslebens zur Heimat werden sollte: zunächst als III. Pfarrer, ab 1982 als I. Pfarrer wirkte er an der Nürnberger St. Peterskirche, wo er sich in einem nicht ganz einfachen sozialen Umfeld bewähren musste. Hier übernahm er nicht nur regelmäßig und mit großem Engagement schulischen Religionsunterricht, sondern konnte für seine Gemeinde auch den Bau eines neuen Gemeindehauses planen und durchführen – eine belastende Mammutaufgabe, die ein großzügiges, gut ausgestattetes und allen Erfordernissen gerecht werdendes Gebäude entstehen ließ (in dem die GFF später viele Jahre auch ihre Mitgliederversammlungen und Verpackungs-aktionen durchführen konnte). Die Interessen seiner Gemeinde und der ihm Anbefohlenen wie auch seiner Familie, die von Schicksalsschlägen nicht verschont blieb, vertrat er dabei auch streitbar gegenüber der Landeskirche, die in ihm einen nicht immer bequemen Gesprächspartner hatte.
Mitglied der GFF war Krauß noch während seiner Zeit in Forth 1972 geworden – viele Jahre lang widmete er sich der Erforschung seiner eigenen Familie und der seiner Frau, was er ab 1976 dann auch in einer Folge von 30 Heften auf über 2550 Seiten dokumentierte. 1978 wurde er in den Beirat des Vereins berufen. Als Georg Kuhr (1907–1989) am 28. Februar 1988 den Vorsitz aus Alters- und Gesundheitsgründen niederlegte, befand sich die GFF in einer sehr schwierigen Situation: zunächst schien es so, als müsse die Gesellschaft ohne einen verantwortlichen Leiter bleiben. Erst nach dringenden Bitten der Anwesenden ließ sich Krauß dazu überreden, diese fordernde Aufgabe zu übernehmen. Immerhin war er beruflich – anders als seine unmittelbaren Amtsvorgänger – noch voll eingebunden. Trotzdem investierte er von Anfang an viele Stunden seiner knappen Freizeit für den Verein, fand in der historischen Recherche und der Exulantenforschung aber zugleich neue Aufgaben, die ihn
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erfüllten und fortan immer mehr einnehmen sollten. Dass daraus ein zwan-zigjähriger ‚Zweitberuf‘ werden sollte, hat er am Beginn sicher nicht geahnt.
Für den Verein bedeutete die Übernahme der Verantwortung durch Eberhard Krauß einen großen Gewinn, war er durch seine Gemeindearbeit doch nicht nur organisatorisch beschlagen, sondern auch offen gegenüber den neuen tech-nischen Entwicklungen, die sich nun zunehmend durchsetzten. Für den Einsatz von Computern in der Familienforschung und die Möglichkeiten, die sich aus dem nach und nach ausgebauten ‚Datenvergleich‘ ergaben, für die Entwicklung eines vereinseigenen Genealogieprogramms und die Interessen der entstehenden ‚Computergruppe‘ zeigte er immer Verständnis und ließ den technischen Neuerern nicht nur freie Bahn, sondern unterstützte sie. Für neue Ideen hatte er immer ein offenes Ohr und eröffnete die Möglichkeit, sie in der Praxis zu erproben. Dem engeren Kontakt mit den Mitgliedern diente die Begründung der halbjährlich erscheinenden ‚Mitteilungen‘, in denen aktuelle Informationen weitergegeben wurden und werden. Er intensivierte die Exkursionstätigkeit des Vereins, wofür er in seinem Amtskollegen Karl Heinz Keller, der seit 1994 als stellvertretender Vorsitzender amtierte, einen zupackenden und engagierten Unterstützer fand. Die engen Kontakte zur niederösterreichischen Gemeinde Gresten und der ‚Arbeitsgemeinschaft Familienforschung NÖ-Eisenwurzen & Franken‘ mit ihrem Vorsitzenden Altbürgermeister Hans Karner gehen auf ihn zurück. Die gegenseitigen Besuche der Vereine, persönliche Kontakte und Freundschaften lagen Krauß sehr am Herzen. Auch in für den Verein personell oder juristisch schwierigen Zeiten, wie es sie immer wieder einmal gibt, bewahrte er Ruhe und konnte die GFF nicht zuletzt durch persönlichen Einsatz über allerlei Klippen hinwegführen.
Besonders nachdrücklich brachte sich Krauß auch in die publizistische Tätigkeit des Vereins mit ein. Vom Zugang der damals besonders aktiven familiengeschichtlichen Exulantenforscher Georg Kuhr und Georg Barth beeindruckt, machte er sich daran, die bisher mehr oder minder auf Karteikarten festgehaltenen Materialsammlungen auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Insbesondere seit 1989 veröffentlichte er eine Fülle materialgesättigter Abhandlungen zur Geschichte der Gegenreformation in Ober- und Niederösterreich, zur Abwanderung der Exulanten aus ihrer alten Heimat und zu den Lebensbedingungen in ihren fränkischen Zuzugsorten. Eingehend dokumentierte er die Namen und familiären Zusammenhänge aus den Quellen, vergaß darüber aber nicht, dass mit bloßen Namenslisten kein eigentlicher Erkenntnisgewinn verbunden ist. Sein Bemühen galt deshalb immer der Einbettung der eruierten Daten in historische Zusammenhänge vor Ort, die das Geschehen erst nachvollziehbar machen. Unzählige Arbeitsaufenthalte in Pfarrarchiven, kirchlichen und staatlichen Archiven waren die Voraussetzung für ein solches Unterfangen – und die Erträge erschienen nicht nur in Dutzenden von Aufsätzen in den BFFK, sondern auch in zahlreichen Büchern. Mit der Veröffentlichung von Exulantenverzeichnissen auf Dekanatsebene – wofür
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bereits Georg Kuhr wichtige Vorarbeiten geleistet hatte – begründete er 1993 eine Folge oft umfangreicher Dokumentationen, die mittlerweile 13 Bände umfasst; neun davon hat Krauß selbst oder gemeinsam mit Koautoren herausgegeben. Vier weitere Buchveröffentlichungen gehen hingegen vom Abwanderungsraum aus, aus dem die Glaubensflüchtlinge stammen, und verfolgen sie bis in die unterschiedlichen Ansiedlungsorte, in denen sich die Migranten niederließen. Gerade nach dem Übergang in den Ruhestand im Jahr 2000 konnte Krauß seine Arbeitsvorhaben noch einmal mit neuem Nachdruck voranbringen und beenden.
Während der Amtszeit von Eberhard Krauß wuchs der Verein von etwa 600 auf rund 1200 Mitglieder. Das war nicht zum mindesten der umgänglichen Art des Vorsitzenden zuzuschreiben, der durch Vorträge, Tagungsteilnahmen und Publikationen in die Breite wirkte und sich bei den einschlägigen Studienreisen des Vereins als kenntnisreicher Leiter erwies. Gerade viele Amtskollegen zog er im Laufe der Zeit in die GFF, ohne den Unterschied zwischen einem prinzipiell überkonfessionellen Verein mit einer breiten fachlichen Ausrichtung und einer kirchlichen oder seelsorgerlichen Veranstaltung jemals zu verkennen.
Es waren zunehmende gesundheitliche Probleme, die den langjährigen Vorsitzenden bewogen, sich 2008 nicht mehr zur Wahl zu stellen. Als nicht ganz einfach erwies sich die noch von ihm selbst betriebene Suche nach einem Nachfolger, der vor den großen Fußstapfen, in die es zu treten galt, nicht zurückschreckte. In Würdigung seiner großen Verdienste um den Verein wählte die Mitgliederversammlung ihn damals einstimmig zum Ehrenvorsitzenden. Eine beeindruckende Auszeichnung erfuhr er zudem 2011, als ihm auf dem Genealogentag in Erlangen die Gatterer-Medaille der Deutschen Arbeits-gemeinschaft genealogischer Verbände in Silber verliehen wurde. Nach Georg Kuhr war er somit das zweite GFF-Mitglied, das diese höchste Auszeichnung der organisierten Genealogie in Deutschland erhielt.
Eberhard Krauß ist am 22. Januar 2018 – rund zwei Monate nach seiner Frau – nach langer und schwerer Krankheit gestorben. An der Trauerfeier am 29. Januar 2018 in der Nürnberger Peterskirche und an der anschließenden Beerdigung haben in alter Verbundenheit viele Weggefährten und Freunde aus dem Verein teilgenommen. In Vertretung seines Nachfolgers, der sich auf einer längeren Auslandsreise befand, hat Edgar Hubrich als stv. Vorsitzender vor der Trauergemeinde die Verdienste des Verstorbenen gewürdigt. Mit Eberhard Krauß hat die Gesellschaft für Familienforschung in Franken eine über viele Jahre hinweg prägende Persönlichkeit verloren, der sie viel zu verdanken hat. Sie wird sich seiner immer dankbar erinnern.
Unser Mitgefühl gilt der Familie des Verstorbenen, die ihn in seinen letzten Jahren unter schwierigen Bedingungen aufopfernd betreut hat.

Text und Fotos wurden von Hans Karner zur Verfügung gestellt.