Als es hieß: „Gott schütze Österreich“

Text und Foto: Hans Karner -

Die nationalsozialistische Machtübernahme im März 1938 ging im Bezirks Scheibbs  nach keinen wie immer gearteten Plan vor sich, schreibt Klaus-Dieter Mulley  in seiner Dokumentation „Nationalsozialismus im Bezirk Scheibbs“. Diese wurde 50 Jahre später von der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft des Bezirkes Scheibbs unter Obmann Prof. Hans Hagen Hottenroth und mit der tatkräftigen Mitarbeit von Amtsdirektor Reg.-Rat Hubert Prokes sowie vieler Zeitzeugen herausgebracht…     
Vor allem ist es Klaus-Dieter Mulley zu danken, dass er seine Dissertation am Institut für Zeitgeschichte als gebürtiger Scheibbser für die Stadt und den Bezirk veröffentlichte, die er seiner lieben Mutter Frau Gislind Mulley in Dankbarkeit widmete.
So wurde im Detail dokumentiert, dass in den meisten Orten des Bezirkes  Aufmärsche, Demonstrationen und Fackelzüge stattfanden, während erst am 11. März um 22,30 Uhr ein Telegramm aus Wien in der Bezirkshauptmannschaft Scheibbs mit dem lapidaren Befehl „Volksbefragung verschoben. Landeshauptstadt“ eintraf. Kurz danach begrüßte Bezirkshauptmann Hofrat Dr. Obentraut noch in dieser Nacht den durch die Straßen ziehenden Fackelzug „mit dem Wort der Begeisterung und Liebe für die endgültige Verbundenheit mit dem Deutschen Reich“… 
Der „Erlaftal-Bote“ - das Heimatwochenblatt für Stadt und Land veröffentlichte in seiner Nr. 11 des 48. Jahrganges - am 13. März 1938  noch den Aufruf von Kurt Schuschnigg an das „Volk von Österreich“, obwohl zwei Tage zuvor der Bundeskanzler  um 20 Uhr seinen mit den berühmt gewordenen Schlusssatz „Gott schütze Österreich“ seinen Rücktritt erklärte.  
An diesem Sonntag sollte zum ersten Male in der Geschichte unseres Vaterlandes ein offenes Bekenntnis zur Heimat abgegeben werden - und bei der Volksabstimmung mit „ja“ zu stimmen. Dieser Aufruf im „Erlauftal-Bote“ wurde – mit wenigen Ausnahmen(!) – nach den Ereignissen dieser Woche „eingestampft“.
Als die geplante Volksbefragung der NSDAP bekannt wurde, wurden von den SA-Truppenführer Scheibbs zwei „Bereitschaften“ gebildet, die in den Gasthäuern die Rundfunknachrichten abzuhören hatten. Das Telefon der Scheibbser Bezirkshauptmannschaft  wurde von NSDAP-Mitgliedern abgehört. Die Tätigkeit von Mitgliedern der Vaterländischen Front und von ehemaligen Sozialdemokaten wurde ebenfalls abgehört… 
  
Ablauf der Ereignisse
in den Märztagen 1938

Die von Bundeskanzler Schuschnigg für 13. März geplante Volksbefragung löste bei den verschiedenen „illegalen“ Führern der NSDAP auch im Bezirk Scheibbs nach Radiomeldungen und telefonischen Befehlen (aus Berlin) eine Kette von Ad-hoc-Entscheidungen aus…

Schon am 11. März 1938 – nachdem in einer Radiomeldung der Rücktritt des österreichischen Bundeskanzlers Schuschnigg ausgestrahlt wurde, brach der Jubel der NSDAP-Anhänger aus, die in Scheibbs und anderen Gemeinden Umzüge und Fackelzüge spontan organisierten. 

In den folgenden Tagen erfolgte die Besetzung  von behördlichen Dienststellen, die Absetzung „unliebsamer“ Behördenleitern, Okkupation von Gemeindedienststellen in der Nacht auf den 12. März. Die NSDAP-Führer  drangen in die Lokale der Vaterländischen Front ein, nahmen oppositionell eingestellte Personen fest und es kam zu ersten Ausschreitungen gegen Juden und deren Geschäfte…

Deutsche Truppen marschierten am 12. März ab 8 Uhr über Österreichs Grenze. In Steinakirchen wurden Flugblätter abgeworfen mit folgendem  Text: „Das nationalsozialistische Deutschland grüßt sein nationalsozialistisches Österreich und seine nationalsozialistische Regierung“.

Noch am 13. März und den folgenden Tagen wurden die Sparbücher und das Bargeld von katholischen Burschenvereinen, bzw. der Marianischen Frauenorganisationen und des Volksbundes von Gresten, Lunz/See, Purgstall, Randegg, Scheibbs, Steinakirchen und Wieselburg von der SS-Sturmbannführung, SA-Männern und HJ-Führern konfisziert. Diese wurden bei den NS-Standortführungen von Gaming und Göstling in Verwahrung genommen. 

Am Montag, 14. März 1938 feierte die Schuljugend z.B im festlich geschmückten Turnsaal von Scheibbs „dieses geschichtsträchtige Ereignis“, mit Hitlerbild und Hakenkreuzfahne. 8 Uhr abends gab es in der Bezirkshauptstadt und anderen Gemeinden Fackelzüge, bei dem auch die Schuljugend herzlich willkommen war…

Zwischen 11. Und 15. März übernahmen von der NSDAP ad hoc eingesetzte Personen in den Gemeinden des Bezirkes Scheibbs die Verwaltungsgeschäfte. In der kleinen Gemeinde Puchenstuben ging am 14. März ein Schreiben der NSDAP ein, in dem ein „Wahlvorschlag für den Gemeindetag“ angekündigt wurde. Während in diesen Tagen allerorts die deutsche „neue“ Reichsflagge Schwarz-Rot-Gold oder Hakenkreuzfahnen gehisst wurden, wehte am Haus eines Scheibbser Geschäftsmannes die schwarze Fahne…    
In der Ausgabe Nr. 12 des „Erlaftal-Bote“ vom 20. März 1938 heißt es auf der Titelseite: „Der Anschluß vollzogen. Österreich ein Teil des Deutschen Reiches. Volksabstimmung am 10. April 1938“. Dann werden die fünf Artikel der Bundesverfassung dargelegt, die eine „Wiedervereinigung mit dem Deutschen Reich“ bringen sollten…

Mit „deutscher Gründlichkeit“ überließ die NS-Propaganda bei der „verschobenen“ Volksabstimmung am 10. April 1938 nichts dem Zufall. Schon acht Tage davor traf zum Beispiel am Bahnhof Scheibbs der „Reichswerbezug“ ein, der eine Stunde Aufenthalt hatte und von der Partei als zusätzliches Werbemittel eingesetzt wurde. Im Bezirks Scheibbs stimmten 22.5437 (99,9 %) für den Slogan „Ein Volk, Ein Reich, Ein Führer“. Es gab nur 21 Nein-Stimmen, 25 Stimmenthaltungen und 21 ungültige…